Systemische Therapie und gesetzliche Krankenkassen

Sowohl in den USA als auch in anderen europäischen Ländern ist die systemische Therapie schon im vergangenen Jahrhundert ein anerkanntes Psychotherapieverfahren. Wir Deutschen beginnen relativ spät mit schrittweisen Prüfungen ob diese Methode auch bei uns als Psychotherapieverfahren anzuerkennen ist und die letzten Schritte sind noch unklar … Die „neuen“ Erkenntnisse führen in Deutschland dann nicht nur zu neuen Ausbildungsgängen sondern auch zu ganz neuen Fragen: Wie soll man beispielsweise mit den „alten“ SystemikerInnen umgehen? Stand heute brauchen sie eine neue Ausbildung… Doch nun der Reihe nach:

 

Systemische Therapie – eine weltweit anerkannte Therapiemethode

Am 14. Dezember 2008 verabschiedet der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) ein Gutachten. Danach ist auch in Deutschland die Systemische Therapie ein wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren für die Psychotherapie Erwachsener,  Kinder und Jugendlicher. (s. a. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie nach §11 PsychThG)

 

Bis Patientinnen und Patienten die systemische Therapie als Leistung einer gesetzlichen Krankenkasse in Anspruch nehmen können, dauert es noch viele Jahre. Denn die Systemische Therapie wird 2008 (noch lange) nicht als ein so genanntes Richtlinienverfahren eingestuft, weshalb sie als Leistung von den gesetzlichen Krankenkassen, weder für die Psychotherapie Erwachsener noch für Kinder- und Jugendliche bezahlt werden kann.

 

Richtlinienpsychotherapie ist zu diesem Zeitpunkt Verhaltenstherapie, analytische oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Etwa fünf Jahre später, am 18.04.2013 beginnt  der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ein Verfahren, um die systemische Therapie neu zu bewerten. Wieder vergehen ca. fünf Jahre bis am 22.11.18 der G-BA sowohl den Nutzen als auch die medizinische Notwendigkeit der systemischen Therapie bei Erwachsenen als Psychotherapieverfahren anerkennt (s.a. Anerkennung durch den G-BA).  Mit der am 18.02.2021 in Kraft tretenden Richtlinie über die Durchführung der Psychotherapie ändert sich etwas für die Patienten, zumindest für die Erwachsenen. Denn nach §18 (3) dieser Richtlinie kann nun die Systemische Therapie als Krankenbehandlung bei Erwachsenen zur Anwendung kommen.

 

Kinder und Jugendlich müssen sich aber noch gedulden. Der erst am 19. August 2021 beschließt der G-BA nun auch für sie das notwendige Bewertungsverfahren einzuleiten, also knapp 13 Jahre nach der wissenschaftlichen Anerkennung. Das bedeutet, die Anerkennung der Systemischen Therapie als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen bei Kindern und Jugendlichen wird auch geprüft. Dauert es von Beginn dieser Prüfung bis zur Änderung der Richtlinie etwa so lange wie für die Erwachsenen, kann man im Jahr 2029 mit einer in Kraft tretenden geänderten Richtlinie für die Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen rechnen.

 

Nach soviel Bürokratie und Theorie fragen Sie sich vielleicht, wie schaut das nun in der Praxis aus? Doch auch in der Praxis hängt ganz viel an der Bürokratie …

 

Systemische Therapie für Erwachsene in einer Kassenpraxis

Um mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können, müssen nach der sozialrechtlichen Anerkennung der Systemischen Therapie alle, die bisher keine Zulassung hatten, um die systemische Therapie mit den Krankenkassen abzurechnen (die es noch nicht gibt oder gab), einen komplett neuen Ausbildungsgang absolvieren. Denn nur mit einem solch neuen Zertifikat soll dann eine Approbation beantragt werden können.

 

Ganz praktisch bedeutet das, nicht nur angehende, sondern auch langjährig praktizierende SystemikerInnen müssen zu Ihren bisherigen Studien, Aus- und Weiterbildungen neben den Kosten von mindestens 30.000 Euro auch noch etwa 4.200 Stunden in diese neue Ausbildung investieren. Das entspricht drei Jahren Vollzeit, in denen die erfahrenen SystemikerInnen, ihre Praxen schließen müssen.

 

Die KollegInnen, welche bereits Richtlinienpsychotherapie (wie Verhaltenstherapie) mit den Krankenkassen abrechnen konnten, bevor diese neue Ausbildung kam, können direkt nach einer Weiterbildung auch Systemische Therapie anbieten und mit den Krankenkassen abrechnen. …

 

Fazit für erfahrene und langjährig praktizierende systemische Therapeuten und Therapeutinnen:

Erfahrene SystemikerInnen, die seit vielen Jahren tätig sind, werden wohl eher nicht mit den Krankenkassen abrechnen. Aktuell sind hier quasi keine Übergangsregelungen in Planung.

 

Ich frage mich, ob diese „alten“ SystemikerInnen aufgrund Ihrer Erfahrung dann die Ausbilder der angehenden SystemikerInnen sind … oder wer bildet die neuen KollegInnen aus?

 

 Spiegel-Artikel: „Seelenheil im System“:

Wenn auch schon vor den letzten Änderungen verfasst, ist dieser Artikel „Über das Verhältnis deutscher Krankenkassen zur Systemischen Therapie“ noch in vielen Punkten sehr relevant. Jana Hauschild schreibt bereits im Frühjahr 2013 im Spiegel den Artikel „Seelenheil im System“.

Systemische Therapie in einer Privatpraxis

Seit Jahren übersteigt die Nachfrage nach kassenfinanzierten Psychotherapieplätzen das Angebot und vielerorts gibt es extrem lange Wartezeiten. Durch Corona hat der Bedarf nach Psychotherapieplätzen sogar noch zugenommen. PatientInnen (Erwachsene, Kinder und Jugendliche), die kassenfinanzierte Psychotherapie suchen, stehen bei Kassenpsychotherapeutlnnen, die so genannte Richtlinienpsychotherapie anbieten auf  Wartelisten. Sie werden in der Regel dort behandelt, wo es freie Kapazitäten gibt und wissen oft gar nicht, mit welchem Psychotherapieverfahren sie behandelt werden. Nur die Allerwenigsten können ihre Auswahl anhand des angebotenen Psychotherapieverfahrens treffen.

 

Gar nicht selten werden sogenannte Notfälle auch an Kliniken verwiesen. Einerseits ist das tatsächlich eine realistische Chance auf Systemische Therapie bei erfahrenen SystemikerInnenSchließlich arbeiten Systemische TherapeutInnen seit vielen Jahren für Maßnahmenträger außerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung und sind auch im Gesundheitssektor, wie etwa in Krankenhäusern, ziemlich stark vertreten. Andererseits nehmen viele PatientInnen die Überweisung in eine Klinik wegen einem Anliegen was die menschliche Psyche betrifft, als Stigmatisierung wahr.

 

Wer eine Behandlung in einer systemischen Privatpraxis bevorzugt, hat meistens gute Gründe dafür und hat nicht selten ganz gezielt nach einer systemischen Therapie gesucht. Nachfolgend sind einige Beispiele, warum KlientInnen eine systemische Privatpraxis aufsuchen:

 

    • Sie wollen die Wartezeit auf einen von der gesetzlichen Krankenversicherung finanzierten Therapieplatz verkürzen
      (… und diese oft lange Zeit nicht nur mit Warten verbringen, sondern diese Zeit sinnvoll für sich nutzen)

 

    • Sie möchten die strengen Regeln der kassenfinanzierten Psychotherapie umgehen
      (die Behandlungsanlass, -dauer oder -frequenz einschränken)

 

    • Sie haben Anliegen, die nicht durch Richtlinienpsychotherapie abgedeckt werden
      (wie z. B. die Paartherapie, die grundsätzlich nicht von der Krankenkasse finanziert wird)

 

    • Sie wollen mit Ihrem Behandlungsanlass nicht aktenkundig werden
      (um z.B. bei Berufsunfähigkeitsversicherungen oder Verbeamtungen nicht benachteiligt zu werden).

 

    • Sie haben die Systemische Therapie als passendes Psychotherapieverfahren für sich und/oder für Ihr Anliegen ausgewählt
      (besonders dann, wenn es um die Familie, die Kollegen im Team oder andere eigene Beziehungssysteme geht).

 

    • Sie möchten nicht in einem Krankenhaus behandelt werden
      (insbesondere wenn sie eine psychotherapeutische Behandlung in einer Klinik als Stigmatisierung wahrnehmen).

(Stand: 30.12.2021)