EMDR mehr als eine Traumatherapie

EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“, auf Deutsch: Desensibilisierung und Neubearbeitung durch Augenbewegungen.

 

Möglicherweise haben Sie den Begriff EMDR schon mal in Verbindung mit Traumatherapie gelesen oder gehört. EMDR gilt nämlich als die weltweit am eingehendsten erforschte Methode in der Traumatherapie. Diese wurde in ihrer Effektivität oft bestätigt und ist seit 2006 auch in Deutschland vom wissenschaftlichen Beirat für Psychotherapie anerkannt, als wissenschaftlich begründete Methode zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

 

Entwickelt wurde EMDR von der klinischen Psychologin Dr. Francine Shapiro zwischen 1987 und 1991 in Kalifornien. In Deutschland wird diese Methode etwa seit 1991 angewendet. Mittlerweile wird EMDR in ganz unterschiedlichen Bereichen erfolgreich eingesetzt – von therapeutischen Prozessen nach traumatischen Ereignissen bis bin zu Coaching und Beratung für die Selbstorganisation und das Selbstmanagement. Sogar für einen Einsatz daheim, gibt es  abgespeckte Varianten des EMDR. Damit ist heute ein sehr viel breiterer Einsatzbereich möglich und EMDR ist eben nicht mehr nur, wie ursprünglich konzipiert, eine Methode zur Behandlung einer PTBS bei Kriegsveteranen.

 

Die neurobiologischen Prozesse bei einer PTBS

… welche im Gehirn ablaufen, sind noch nicht hinreichend erforscht. Man weiß heute aber, dass beispielsweise die Art des Traumas und Verknüpfungen mit zuvor erlebten Ereignissen die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Gemittelt über alle möglichen Trauma-Arten, erkranken etwa 10% der von einem Trauma betroffenen Menschen an einer PTBS. Bei etwa 90% der Betroffenen ist ein halbes Jahr nach dem Ereignis keine PTBS entstanden. Möglicherweise haben diese Menschen unbewusst, vielleicht sogar im Schlaf, die eigenen Entwicklungs- und Selbstheilungsprozesse in Gang gesetzt. Einige Betroffene berichten nämlich, dass sie in den ersten Tagen sehr heftig (meist vom belastenden Erlebnis) geträumt haben, was im Laufe der Zeit dann abgenommen hat, vermutlich weil es unbewusst verarbeitet wurde.

Die Wirkung von EMDR

… kommt durch eine aktive und gezielte bilaterale, also beidseitige, Stimulation der neuronalen Bahnen im Gehirn zustande. Zeigt beispielweise, nach einem traumatischen Erlebnis, die rechte Hirnhälfte einer Person immer wieder die erlebten Bilder an, während das Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte nur eingeschränkt arbeitet, kann es zum sogenannten ‚Sprachlosen Entsetzen‘ kommen. Eine Person kann dann das Geschehene nicht in Worte fassen, obwohl sie es immer wieder sieht und erlebt. Durch die bilaterale Stimulation im EMDR wird der Austausch zwischen beiden Hirnhälften angestoßen, um das Erlebte schrittweise verarbeiten und die damit verbundenen Bilder, Emotionen, …, Gedanken und Körperreaktionen integrieren zu können.

 

Auch wenn viele Menschen sich gar nicht erinnern, erleben wir in der Regel alle täglich die bilaterale Stimulation im Schlaf, während der REM-Phase (Rapid Eye Movement Phase), welche durch die schnellen Augenbewegungen gekennzeichnet ist. Anders als im REM-Schlaf findet beim EMDR die bilaterale Stimulation im Wachzustand und durch eine gezielte Reizsetzung, in einem intensiven achtstufigen Prozess, mit aktiver therapeutischer Begleitung statt. Man weiß mittlerweile, dass es dabei nicht auf die Augenbewegungen ankommt, sondern auf die bilaterale Stimulation der beiden Hirnhälften. Diese kann auch durch andere, beispielsweise akustische, Reize hervorgerufen werden.

 

Bevor ich hier tiefer einsteige, möchte ich zur Verdeutlichung, den „Gehirnzustand und die Prozesse“ nach einem belastenden Erlebnis in einen sehr einfachen Vergleich beschreiben. Nach dem Ereignis kann man sich den Zustand im Gehirn etwa so vorstellen, als wenn die neuronalen Bahnen im Gehirn wie schockgefroren sind. Die Erinnerungen, Bilder, Emotionen, … konnten nicht mehr vollständig verarbeitet werden. Sie hängen in Fragmenten und blockieren in dieser ‚eingefrorenen‘ (unfertigen) Form die neuronalen Bahnen. Diese Fragmente bleiben zunächst so gespeichert, wie sie zum Zeitpunkt des belastenden Ereignisses erlebt wurden. Um die neuronalen Bahnen wieder funktionsfähig zu bekommen, müssen die unfertigen Erinnerungen behutsam verarbeitet (zu Ende erlebt, zu Ende gedacht, zu Ende gefühlt, … und verknüpft ) werden.

 

Heute gilt EMDR als eine ressourcenorientierte Methode, welche neuronale Veränderungen bewirkt und damit hilfreiche Entwicklungs- und Selbstheilungsprozesse in Gang setzt. In den acht Schritten im EMDR-Prozess wird zunächst ein belastende Ereignis erfasst und anschließend in mehreren Einzelschritten aufgearbeitet. Klienten werden in diesem Prozess aufgefordert, sich in eine Art Beobachterrolle zu begeben und ihre Aufmerksamkeit zu teilen. Ein Teil  Teil der Aufmerksamkeit folgt einem äußeren Reiz, der bilateralen Stimulation. Ein anderer Teil der Aufmerksamkeit konzentriert er sich auf das inneres Erleben und fokussiert dabei die belastende Vorstellung. Durch die Perspektive des Beobachters wird eine emotionale Distanz zum Erlebten möglich, so dass eine emotionale und kognitive Umstrukturierung und letztlich auch eine Neubewertung stattfinden kann.

 

Dem Schockfrost-Vergleich folgend, werden mit EMDR die unverarbeiteten Bilder, Emotionen, … Fragmente der neuronalen Bahnen schonend aufgetaut und verarbeitet. Beide Hirnhälften werden dabei in Bezug auf das belastende Ereignis aktiviert und synchronisiert. Die Informationen werden neu bearbeitet, neu bewertet und neu abgespeichert.

 

So wird mit EMDR nicht nur die beschleunigte Verarbeitung von derart belastenden Erinnerungsfragmenten ermöglicht, sondern auch eine veränderte Einstellung zu sich selbst und den eigenen Ressourcen. Dadurch wird diese Methode für  immer mehr Anwendungsgebiete genutzt.

Die Anwendungsgebiete von EMDR 

 

… sind heute neben der Behandlung von PTBS, viele anderen Bereiche, insbesondere wenn in der Entstehungsphase, belastende Lebensereignisse bedeutsam sind. Nachfolgend einige wichtige Anwendungsgebiete von EMDR:

 

  •  Belastende traumatische Erfahrungen, PTBS und Traumafolgestörungen … auch körperliche, sexualisierte oder emotionale Traumata
  • Auswirkungen belastender Lebenserfahrungen (wie Unfall, Tod eines Angehörigen, Trennung, Arbeitsplatzverlust, Berentung, Mobbing, …, starke Trauer nach Verlusterlebnissen)
  • stoffgebundene Abhängigkeit (insbesondere nach oben genannten Erfahrungen)
  • Angst- und Panikstörungen, Phobien (beispielsweise Höhenangst, Prüfungsangst, Flugangst, Tierphobien, Klaustrophobie, …)
  • Schlafstörungen
  • Depressionen
  • chronische Schmerzzustände
  • psychosomatische Beschwerden
  • Allergien
  • Stressbewältigung
  • Burnout-Prävention
  • Selbstwertproblematik
  • Leistungsblockaden
  • unerwünschte Verhaltensmuster
  • Selbstmanagement/Selbstorganisation
EMDR REMSTIM

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